Textatelier
BLOG vom: 08.02.2006

0-Toleranz – oder: Kampf den gemeinen Euphemismen!

Autor: Emil Baschnonga
 
Bei Null Grad C wird mir kalt. Das Wort „zero tolerance“ aus Amerika eingeschleppt, macht sich überall breit. Wer versehentlich einen Kaugummi ausspuckt, wird gebüsst. Recht so: Null-Toleranz muss sein.
 
Ich erinnere mich an den Ausdruck „ein Exempel statuieren“. Genau das traf zu, als kürzlich eine Frau und Mutter scheinbar schwarz mit dem Bus fuhr. Sie behauptete, dass ihre Fahrkarte, jetzt elektronisch aufgeladen und unter dem Begriff „Oyster card“ in London eingeführt, versagt habe, und weigerte sich standhaft, die Busse zu bezahlen. Ihr Fahrschein kostete £ 1. Sie ging aufs Gericht. Der Richter entschied gegen sie und verhängte eine Busse von £ 165 plus Gerichtskosten von £ 150. Der Sprecher der „Transport for London“ äusserte sich lakonisch zum Urteil: „Wir gehen hart gegen Schwarzfahrer vor und hoffen, dass diese Strafe andere davon abhält, den Fahrpreis zu hinterziehen.“
 
Hinter solchen Bagatellfällen versteckt sich viel Schlimmeres. Als „insurgents“ werden die Rebellen und Aufständische im Irak bezeichnet. Wilhelm Tell oder Jürg Jenatsch sind folglich Insurgenten, also Aufwiegler statt Freiheitskämpfer.
 
Was es mit dem Wort „rendition“ auf sich hat, wie Gefangene zu den Freihäfen zur Folterung geflogen werden, bedarf keiner Erläuterung mehr.
 
„Collateral damage“ bezieht sich auf Begleitschäden (Kollateralschäden), wenn beim Bombenabwurf Zivilisten ums Leben kommen.
 
Mit der „homeland security“ soll das Land, besonders die USA, vor Übeltätern aller Art gesichert werden. Die Definition von Übeltäter ist allumfassend und sehr elastisch geworden.
 
Die hohe Schutzmauer gegen die Palästinenser in Israel wird schlicht und einfach „fence“ genannt – auf Deutsch bloss ein Zaun oder Hag. Jetzt schirmt sich Amerika mit einem solchen Zaun gegen die illegalen Immigranten aus Mexiko ab. Ein anderes Wort für die illegalen Einwanderer hat sich inzwischen in England eingenistet: „bogus asylum seekers“. Sie zapfen die Wohlfahrt ab. „Deportiert sie!“, fordert das Publikum weit und breit. Unter ihnen sind gewiss auch etliche Insurgenten, die nach der Rückkehr in ihre Heimat gefoltert werden.
 
Mit dem Ausdruck „climate change“ wird das „global meltdown“ verharmlost. Inzwischen schmelzen die Eisberge, wie die Welt Abgase verpufft und mit der Natur Raubbau betreibt.
 
Solche Euphemismen (Euphorismen ...) sind zu Tretminen in der Sprache geworden, von Politikern gelegt. Sie verhunzen Tatsachen, kaschieren sie, beschönigen sie, verzerren sie bis zur Unkenntlichkeit.
 
Damit sinkt die Toleranz weit unter die Nullgrad-Grenze. Der gesunde Menschenverstand wird aufs Eis gelegt und das Gemüt einbalsamiert.
 
Weg mit solchen irreführenden Euphemismen! Sonst werden wir alle als dumm verkauft und über einen Leisten geschlagen.
 
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